Jehuda Amichai עמיחי_קורא_בתמול

Jehuda Amichai wurde am 3.5.1924 als Ludwig Jehuda Pfeuffer in Würzburg geboren. Im Sommer 1936 musste er als zwölfjähriges Kind mit seiner jüdisch-orthodoxen Familie nach Palästina auswandern, nachdem der Terror des Nationalsozialismus in Würzburg immer deutlicher spürbar geworden war. 1946 änderte er seinen Namen in Jehuda Amichai, hebräisch „Mein Volk lebt“. Er war ein deutsch-israelischer Lyriker und gilt als einer der meistgelesenen und bedeutendsten modernen israelischen Dichter und war einer der ersten, die in umgangssprachlichem Hebräisch schrieben.



Obwohl Amichai’s Muttersprache Deutsch war, hatte er in der Synagoge schon früh das biblische Hebräisch kennengelernt. Dies ermöglichte es ihm später, das modernen Ivrit, nachdem er in seiner neuen Heimat angekommen war, schnell zu absorbieren. Weil er sprachlich sehr begabt war, beherrschte er das Hebräische bald so perfekt, dass er sich nicht nur außerordentlich gut in Prosa ausdrücken konnte, sondern auch die elaboriertesten Verse schreiben konnte.
Neben anderen Autoren revolutionierte Amichai die hebräische Lyrk sowohl stilistisch als auch thematisch und emanzipierte sie vom Pathos vorangegangener hebräischer Dichter zugunsten einer dem wirklichen Leben und seinen täglichen Härten verpflichteten Dichtung. Amichais Lyrik zeigt einen extremen Reichtum an intertextuellen Bezügen zu den traditionellen Texten des Judentums, wie Tanach, Talmud und Seddur. Aber auch Anspielungen auf weltliche Texte, wie israelische Kinder- und Volkslieder, sowie auf das Werk anderer Dichter finden sich in seinen Gedichten. Amichai war zunächst stark von europäischen und angloamerikanischen Schriftstellern wie Rilke, Lasker-Schüler, Elliot und Auden beeinflusst, schöpfte aber auch aus der Arbeit von Autoren des »Goldenen Hebräischen Zeitalters« in Spanien.
In seinen Gedichten verwendet Amichai nicht das kollektivistische »Wir«, sondern das »Ich«, das den einzelnen Menschen repräsentiert, der den schwerwiegenden historischen Veränderungen und Brüchen des vergangenen Jahrhunderts ausgesetzt war. Amichai selbst hat in fünf Kriegen gekämpft, doch – oder vielleicht gerade deshalb – ist seine Dichtung von einem tiefen Humanismus durchdrungen, der sich immer um andere kümmert, falschen Helden misstraut und den Besiegten und Opfern ihre Würde lässt. Als Amichai wegen seiner angeblich post-zionistischen (post-zioni: פוסט-ציוני) Einstellung kritisiert wurde, antwortete er auf seine gewohnt witzige Art mit einem Wortspiel: “Ich bin ein post-zynischer Dichter” (post-zini: פוסט-ציני).
Heute gilt Amichai als einer der einflussreichsten Autoren des 20. Jahrhunderts. Asher Reich sagte einmal, dass Amichai als Lyriker die Kronen von drei Königreichen trage, was ihn zu einem hebräischen, einem jüdischen und einem israelischen Dichter mache. Ein genauerer Blick auf seine Arbeit zeigt, dass dies nur allzu wahr ist. Aber ich möchte hinzufügen, dass Amichai eine vierte Krone trägt, die die drei anderen in sich vereint: die Krone eines tiefen Mitgefühls für den anderen Menschen. Dies und die Authentizität seiner Verse machen ihn zu einem zeitlosen Dichter, dessen Gedichte Bestand haben werden.
Auszug aus einem Essay von Amadé Esperer, einem mehrsprachigen Wissenschaftler und Lyriker, der zahlreiche Gedichte von Amichai ins Deutsche übesetzt hat.

Jehuda Amichai starb am 22.9.2000 in Jerusalem.